Mutterschaft
Der heutige Muttertag ist für viele Frauen ein besonders schwieriger Tag.
Frauen und Paare, denen das Mutter- & Elternsein versagt wird, die Monat für Monat darauf hoffen, schwanger zu werden oder Frauen, die schwanger waren und ihre Kinder in einer stillen Geburt oder Fehlgeburt verloren haben, möchte ich zum heutigen Tag meine Herzgedanken schenken.
Viele Frauen, ich begegne in meiner Praxis sehr vielen Lebensgeschichten, die das Herz berühren, meistern ihren Weg tapfer, gehen mit Enttäuschung und Verlust so gut es geht mit Alltag und Umfeld unglaublich stark um und müssen oft auf ihrem Weg viel einstecken. Sätze, die sie hören und oft um Konfrontationen zu vermeiden “schlucken” müssen, begleiten sie lange Zeit und fördern immer mehr den Rückzug und das Alleinsein mit den Themen Kinderwunsch, Fehlgeburt oder Totgeburt.
”Das ist halt so.”
”Ist nicht schlimm, ich hatte auch eine Fehlgeburt.”
”Denk nicht mehr darüber nach, du kannst es eh nicht ändern.”
Sätze in dieser oder ähnlicher Art sind weder hilfreich noch förderlich für das Verarbeiten der Trauer und den bevorstehenden Weg der Frauen.
Mitgefühl, offen fragen, wie es der Mutter geht, Ernst nehmen, weder bagatellisieren noch relativieren und auf der Ebene des Herzens bleiben, sind aus meiner Sicht ebenso möglich, wie den Raum geben und halten und für die Frau einfach da sein.
Ebenso wie der Verlust eines Kindes ist der Kinderwunsch für viele Betroffene ein Thema, das großes Ausmaß annimmt. Manchmal wird das Leben dadurch jahrelang überschattet und all Gedanken sind auf die Erfüllung des Kinderwunsches ausgerichtet.
Paare nehmen Sex nach Fahrplan auf sich, Hormonkuren, Therapien, Ärztekonsultationen, Medikamententherapien oder führen Ernährungs- & Lebensumstellungen durch um die Erfüllung des Wunsches zu beschleunigen.
Sie halten oft ihr Leiden zurück, versuchen sich nichts anmerken zu lassen und aufkommende Emotionen beim Anblick eines Kinderwagens oder bei der Überbringung von Neuigkeiten, die Zuwachs in der Familie bedeuten, werden zurück gehalten.
Ich beobachte sehr oft ein stilles Leiden, das sich bis in die Körperebenen vorarbeitet und eine Form von Daueranspannung mit sich bringt. Stress entsteht und alles damit Verbundene bringt vor allem die Frauen in noch mehr stumme Verzweiflung.
Was wenn es nicht klappen will?
Wie viele Hormonkuren, Inseminationen oder Transfers noch?
Wie gehe ich mit meinen Gefühlen um, wenn ich neidisch, eifersüchtig oder wütend bin?
Wie schaffe ich die vielen Arzt-Termine, Klinik-Aufenthalte oder Therapien neben meiner Arbeit?
Wie löse ich die finanzielle Herausforderung der Kinderwunsch Behandlungen?
Häufig läuft nebenbei ein Alltag mit Verpflichtungen, einem anspruchsvollen Job oder familiären Drängeleien, die ständig nachfragen, wann es denn endlich soweit sei.
In letzter Zeit häufen sich auch die Empfindungen der Frauen, die sich in der boomenden Kinderwunsch-Klinik-Welt nicht richtig begleitet fühlen. Manchmal empfinden sie Gespräche mit Ärzten als verwirrend, zu kurz oder zu wenig einfühlsam. Die Eingriffe selbst erleben sie als schnell und unpersönlich und sie fühlen sich oft als wären sie auf dem Fließband gelandet. Wenn Räumlichkeiten in Kliniken dann noch steril und kalt eingerichtet sind, erschwert es den Weg der Frauen zusätzlich.
Alles in allem machen Frauen auf dem Weg des Kinderwunsches sehr viel mit und brauchen ein liebevolles und verständnisvolles Umfeld um den Ausgleich zu den erlebten Strapazen und damit den Weg in ein geschütztes und kraftvolles Nest zu finden.
Der Muttertag ist ein Tag, der den Müttern gedenkt.
Wer gedenkt den Frauen, die Mutter sein wollen oder Frauen, die kurz Mutter waren, bis ihnen das Schicksal das Kind aus den Armen gerissen hat?
Warum gibt es keinen Sterneneltern-Tag?
Wieso glaubt man, dass Frauen nach einer Fehlgeburt gleich wieder funktionieren sollten?
Viele Fragen die mich nicht nur im Zuge meiner Arbeit beschäftigen und auf die ich mir dadurch selbst eine Antwort gebe, weil ich an diese Menschen denke, mit ihnen fühle oder versuche, den Weg der Trauer und Hoffnung zu begleiten.
Trauer hat ebenso wenig eine vorgegebene Zeit, die es gilt einzuhalten, wie Hoffnung.
Ich wünsche allen Frauen und Paaren, die diese Wege gehen, Mut.
Mut, das einzufordern, was sie brauchen und sich die Aufmerksamkeit holen, die ihnen zusteht.
Ich wünsche ihnen Kraft und den Raum, den sie sich nehmen sollten und der gehalten wird.
Besonders am heutigen Tag.
Von mir kommt auf Herzensebene eine Herzensumarmung.
DANKE liebe Petra Lilith Nie für die zauberhaften Püppchen.
Ansprechen möchte ich am heutigen Muttertag auch die Situation der alleinerziehenden Mütter und die der “modernen Mutter”, die tagtäglich den Spagat zwischen Muttersein und beruflicher Herausforderung meistern, Haushalt organisieren und jahrelang mit dieser Doppelbelastung meist still oder ungehört das Beste für alle anderen versuchen zu machen.
Buchempfehlung: „Das Unwohlsein der modernen Mutter“ von Mareice Kaiser
Alles gleichzeitig müssen und dabei auch noch ein schlechtes Gewissen haben. Mareice Kaiser zeigt in ihrem Buch auf, womit Mütter kämpfen.
Mutter zu sein ist wundervoll und zugleich verdammt anstrengend. Es bedeutet nie allein zu sein, ein paar Jahre nicht durchzuschlafen und mit ständigen Sorgen zu leben. Diese permanente Ambivalenz beschreibt die Autorin in ihrem Buch ebenso treffend wie den Druck in Themen wie Arbeit, Geld, Psyche, Sex, Erwartungen und die Anderen.
Mit den Erwartungen an die moderne Mutter und ihrem harten Aufprall auf dem Boden der Realität geht es auch nach dem Wochenbett weiter: genug Milch produzieren, nicht mit der Flasche füttern. Besser mit Stress umgehen lernen, den Schlafentzug bitte nicht so nach außen zeigen. Gute Laune haben. Keine Wegwerfwindeln benutzen, später nur selbstgekochten Brei geben, aus Biogemüse natürlich. Bloß keinen Schnuller geben! (...) Auch mal wieder Make-up verwenden. Beckenbodentraining machen. Und dann schnell mit dem Kind zum Babyschwimmen. Und alles immer: ganz entspannt. Lächeln! Eine gestresste Mutter ist keine gute Mutter. (S. 85)
Von Müttern werde erwartet, dass sie gut drauf sind und allem gerecht werden.
Die Autorin beschreibt auch, wie schwierig es ist, die eigene Berufstätigkeit mit der Familie zu vereinbaren. Sie schreibt von dem Gefühl, weder dem Job noch dem Kind, noch sich selbst gerecht zu werden, also einfach nirgends genug zu sein.
Ich mache Überweisungen, ich mache mir Gedanken. Ich habe Sex, ich habe Hunger, ich will alles verstehen. Ich rede, ich höre zu, ich unterbreche, und ich lasse mich unterbrechen. Ich räume die Spülmaschine ein und die Waschmaschine aus. Ich sollte meine Eltern mal wieder anrufen. Ich mache mir Sorgen, ich mache mir ein Brot. Ich hole mein Kind von der Schule ab, ich bestelle Dinge, ich putze das Klo. (S. 7)
Zugespitzt hat sich die Situation der Mütter in der Corona Krise. Kaiser bietet in ihrem Buch auch Lösungen der Probleme, die vor allem alleinerziehende Mütter betreffen, richtet Appelle an die Politik und meint, es sollte kein Tabu sein, sich als Mutter zu beschweren.
„Es muss akzeptiert sein, die eigene Ambivalenz anzusprechen und zu sagen: Ich liebe mein Kind – und gleichzeitig ist alles ganz schön anstrengend und ich nicht immer glücklich.“
Mareice Kaiser: Das Unwohlsein der modernen Mutter. Rowolth Polaris. 2021.